Sunday, September 21, 2008

Nepal ist anders...

Aus Kristi (Pokhara) und Kathmandu ROLF SCHMELZER
21. September 2008

Nepal liegt zwischen Tibet und China im Norden und Indien im Süden. Das Land am Fuße des Himalaja hat acht Achttausender, darunter den mit 8.850 Metern höchsten Berg der Erde, den Mount Everest. Vielen gilt Nepal wegen seiner großen geografischen Vielfalt als Wunderland. Ein ethnischer Schmelztiegel ist es in jedem Fall. Die 28 Millionen Einwohner sprechen mehr als 90 Sprachen. Kathmandu, die in einem immergrünen, fruchtbaren Tal gelegene Hauptstadt liegt südlicher als Kairo oder Delhi - und kennt keinen Frost.

Mount Machhapuchere (6.990 Meter ueber N.N.) von Pokhara aus

Nepal ist anders.

Hier gibt es Fünfsternehotels wie das "Hyatt Regency Kathmandu" oder "Yak&Yeti" und einfachste Gästehäuser wie das Potala Guesthouse (www.potalaguesthouse.com) im quirlig bunten Touristenviertel Thamel ab drei Euro pro Nacht. Tourismus ist neben Entwicklungshilfe einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren (www.welcomenepal.com). Ziel der jährlich 500.000 Besucher, davon etwa 25.000 aus Deutschland, ist in der Regel eine längere Trekking-Tour im Annapurna- oder Mount-Everest-Nationalpark. Für Bergsteiger ist es ein Shangri La, weltweit gibt es nichts vergleichbar Schönes. Das Land gilt jedoch als eines der ärmsten der Welt. Der Ort Lumbhini im Süden ist Geburtsort Buddhas. Die große Mehrheit der Bevölkerung sind allerdings Hindus.

Nepal war bis zum 18. Mai 2006 das letzte Hindukönigreich der Welt. Eine friedliche "Rhododendron-Revolution" setzte der autoritaeren Herrschaft des ungeliebten Koenigs Gyanendra ein Ende. Nach einer demokratischen Massenbewegung, die seit dem 6. April 2006 immer lauter nach "Loktantra", also echter Demokratie verlangte, musste der Koenig die Macht ueber seine 250.000 Soldaten und bewaffneten Polizeikraefte des Landes abgeben, die er zuvor mit grosser Brutalitaet gegen sein eigenes Volk eingesetzt hatte.

Nepal ist anders.

Es ist eine sehr ungewoehnliche Revolution. Denn genau das ist es. Eine friedliche "Rhododendron Revolution" findet seit dem 6. April 2006 hier im "Shangri La" statt. Die internationalen Medien wie Reuters, BBC, CNN, New York Times, Washington Post und viele andere mehr haben von Mitte bis Ende April fuer eine Woche ihe Kameras auf Nepal gerichtet oder ihre Reporter-Teams hierher nach Kathmandu geschickt. Das war sehr wichtig und vermutlich mitentscheidend fuer den Erfolg dieser langsam aber stetig anwachsenden LOKTANTRA-Massenbewegung gegen Koenig Gyanendra.

Die spannendste Zeit in Nepal beginnt allerdings jetzt erst nach den Wahlen vom 10. April 2008 zu einer 601koepfigen Verfassunggebenden Versammlung (www.nayanepal2008.blogspot.com). Das Militaer ordnet sich kleinlaut der Interims-Regierung unter und verspricht, die Menschrechte zu achten. Der Koenig ist vollkommen entmachtet und aus dem Palast in Kathmandu ausgezogen. Nun geht es an sein zig-Milliarden Dollar (!) schweres Vermoegen (des 240 Jahre alten Shah-Clans), das der ungeliebte und skrupellose Herrscher nach dem blutigen Massaker am 1. Juni 2001 von seinem Bruder Birendra und dessen Angehoerigen geerbt hatte. Damals sagte er: "Dieses Vermoegen gehoert dem nepalesischen Volk!" - Damals konnte er ja noch nicht wissen, was im April 2006 geschehen wuerde... ;-))

Nun endlich werden auch diese immer noch nicht geklaerten Umstaende dieses Massakers im Koenigspalast untersucht (alle Leichen wurden umgehend verbrannt, keine Spuren gesichert). Es gibt Augenzeugen, die der offiziellen Palast-Version (Kronprinz Dipendra erschiesst Koenig, Koenigin und Blutsverwandte wegen ungewollter arrangierter Hochzeit im Drogenrausch und erschiesst sich danach selbst) widersprechen, sich bislang aber noch nicht oeffentlich geaeussert haben. Dabei handelt es sich u.a. um den Schwiegersohn des ermordeten Koenigs Birendra und seine zwei Toechter, die Augenzeugen der wilden Schiesserei waren, ueberlebten und seit nun fuenf Jahren im indischen Exil leben.

Eine zentrale Rolle spielten auch die nationalen Medien. Trotz strenger Pressezensur wurde der ungeliebte Monarch unverbluemt kritisiert. Mehr als 400 Journalisten wurden teilweise ueber Monate inhaftiert, 900 aus ihren Redaktionsstuben gejagt! Dennoch obsiegte die grosse Zivilcourage der Nepali in Stadt und Land, die trotz Ausgangssperren und Schiessbefehl landesweit zu mehreren Millionen auf die Strassen gingen. Es gab 21 Tote, deren Fotos nun die Bilder von entmachtetem Koenig und Koenigin ersetzen.

Es herrscht ein ueberwaeltigender Optimismus im Land am Fusse des Himalaja, dass der blutige Guerillakrieg maoistischer Rebellen mit 13.200 Toten nach zwoelf Jahren endlich ein friedliches Ende gefunden hat.Man spricht vom "Wunder von Nepal". Das Hauptziel der Rebellen, die Abschaffung der Monarchie, wurde erreicht! Nepal ist seit dem historischen 18. Mai 2006 auf einem guten Weg (www.nepalitimes.com).

Der deutsche Botschafter in Nepal, Franz Ring, rief am 30. Mai 2006 anlaesslich einer Buchvorstellung der Gesellschaft fuer Technische Zusammenarbeit (GTZ) www.gtz.de zu auslaendischen Investitionen auf: "Die Aussichten fuer auslaendische Investoren sind herrlich, da der Friedensprozess in Nepal begonnen und das autokratische Regime ein Ende gefunden hat." Die Nachbarn Indien und China sind mit 2,5 Milliarden Menschen - fast einem Drittel der Weltbevoelkerung - ein lukrativer Markt fuer in Nepal produzierte Waren, das durch seine geografische Lage privilegiert sei (www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Nepal.html).

Die grosse Mehrheit von ca. 75 bis 80 Prozent der Nepali lebt auf dem Land, die meisten von ihnen auf terrassierten Huegeln wie die in Kristi, einer grossen Ansammlung von verstreut liegenden Bergdoerfern oberhalb des Ferienortes Pokhara, etwa 200 Kilometer westlich von Kathmandu. Hier in Kristi leben auf neun Verwaltungsbezirke (Wards) verteilt zwischen 8.000 und 10.000 Menschen nahezu ohne jede aerztliche oder zahnaerztliche Versorgung unter einfachen Lebensbedingungen. Es gibt hier in Kristi einen einzigen "Health post" mit einer gelegentlich hier arbeitenden, hochqualifizierten Gynokologin aus Pokhara (Dr. Chandika Pandit). Eine zahnaerztliche Versorgung fehlt vollkommen. Seit Mai 2008 kommen regelmaessig DENTAL VOLUNTEERS (www.dental-volunteers.com) wie z. B. Dr. Agnes Wagner (Rottach), Dr. Marianne Prien (Hannover), Dr. Thorsten Dickel (Oldenburg) nach Kristi, um die Bevoelkerung mit kostenfreien Dental Health Camps zu versorgen (www.ciud.org.np).

Dr. Marianne Prien, Dr. Thorsten Dickel und ein zwoelfkoepfiges
HelferInnen-Team Ende Juli 2008 in Kristi Bayali


Was fuer das Touristenauge so wunderbar anzuschauen ist, ist harte und gefaehrliche Arbeit: Die in allen Gruentoenen schimmernden Orangenhaine, Kaffee, Mais, Weizen- oder Reisterassen sind sehr schwierig zu beackern. Im Monsun werden Wege, Felder und Haueser regelmaessig weggespuelt. Von Pokhara fuehren drei steinige und holperige Wege nach Kristi. Alle zwei Stunden faehrt ein altersschwacher Bus nach Pokahara hinunter, den sich aber die Mehrheit der Einwohner Kristis nicht leisten kann. Um den Kindern den langen und beschwerlichen Schulweg ins Tal hinunter zu ersparen unterstuetzt der Chiemgauer Jungunternehmer Markus Alexander Woessner (www.chiemgau-biking.de) nachhaltig den Ausbau einer Grund- und weiterfuehrenden Schule, einer Wasserleitung sowie den Bau von Toiletten. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass nun auch weitere Organisationen und der Muenchener Reiseveranstalter Hauser Exkursionen (www.hauser-exkursionen.de) die Bildungslage der Menschen in den Huegeln von Kristi nachhaltig verbessern helfen wollen (www.aschoolforkristi.blogspot.com), momentan allerdings mit einem korrupten und untaetigen Schulkommittee konfrontiert sind.

Lebensfreude und Lebensmut der Menschen hier oben in den Bergen um Pokhara sind bei allem Leid ungetruebt. Es wird viel gelacht in den Haeusern und in den Schulen. Mehr und mehr Kinder geniessen ihre Kindheit. Glueck bedeutet zum Beispiel, wenn die Familie, die Ziege oder das Bueffelkalb gesund sind und der Monsun nach sechsmonatiger Trockenheit von Oktober bis Maerz rechtzeitig kommt und die bis zu drei Ernten reichhaltig ausfallen. Das Leben hier oben auf den Bergen um Pokhara ist einfach und gut.


KAEFFCHEN?
Gibt's hier: www.himalcoffee.blogspot.com

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Rolf Schmelzer